056 Training nach Zyklusphasen aus sportwissenschaftlicher Sicht

Cycle Syncing Konzepte sprießen wie Pilze aus dem Boden. Wie lässt sich das Training nach Zyklusphasen aus sportwissenschaftlicher Sicht bewerten?

Ich bin Jenny, studierte Trainerin und Online Fitness Coach mit Schwerpunkt auf die Physiologie der Frau. 

Schauen wir uns den Trend des zyklusbasierten Trainings mal genauer an. In den letzten Jahren und Monaten scheint dieser Trend auch in den Fitnessstudios angekommen zu sein, weshalb viele Frauen mittlerweile ein größeres Bewusstsein für die Wichtigkeit des Zyklus im Sport entwickelt haben. Zunächst aber die Basics: 

Welche Zyklusphasen gibt es? 

In der Literatur und auch in Schulbüchern wird der Menstruationszyklus fälschlicherweise oft so dargestellt, als bestehe er aus vier Phasen, die von der Qualität her oft mit dem Jahreszeitenzyklus assoziiert werden. Dieser Beitrag zu zyklusbasiertem Training hat folgende Einteilung des Zyklus als Grundlage:

  • Menstruationsphase (Tag 1-5) – innerer Winter
  • Follikelphase (Tag 6-13) – innerer Frühling
  • Ovulationsphase (Tag 14) – innerer Sommer
  • Lutealphase (Tag 15-28) – innerer Herbst

Der Zyklus in vier Phasen?! Das entspricht leider nicht der Wahrheit, denn biologisch gesehen gibt es nur zwei Zyklusphasen: Die Follikelphase, Phase 1, beginnt am ersten Tag der Menstruation und dauert bis zum Eisprung. Bereits während der Blutung beginnt in den Eierstöcken ein neuer Zyklus mit der Reifung von mehreren Eibläschen, diese werden auch als Follikel bezeichnet. Normalerweise reift jedoch nur ein Eibläschen vollständig heran, während die anderen verkümmern. Das herangereifte Eibläschen produziert Östrogen, das in der Gebärmutterschleimhaut Wachstum und Veränderungen hervorruft. Die Gebärmutterschleimhaut wird dicker und reich an Blutgefäßen, um eine optimale Umgebung für eine befruchtete Eizelle zu schaffen. Der Eisprung trennt nun die erste Zyklusphase von der zweiten. In der Lutealphase, Phase 2, wird der Follikel, aus dem das Ei freigesetzt wurde, zum Corpus Luteum (Gelbkörper), welches Progesteron produziert und damit die Gebärmutterschleimhaut weiter auf eine mögliche Schwangerschaft vorbereitet. 

Warum Cycle Syncing im Sport? 

Woher kommt nun der Gedanke, das Training an den Zyklus anpassen zu müssen? Die Grundidee ist, dem physiologischen und psychologischen Bedürfnis von Frauen im Sport gerecht zu werden. Das bedeutet für die meisten Personen, der Leistungskurve und den Motivationsschüben gemäß der hormonellen Schwankungen im Zyklusverlauf zu folgen. Getreu dem Motto “Work with your Body, not against it” geht es darum, ein Trainingskonzept zu entwickeln, das sich an die Qualitäten der Phasen angleicht. Man hat in Untersuchungen beispielsweise festgestellt, dass der anabole Effekt des Östrogens, welches in der Follieklphase ansteigt ein benefit für den Muskelaufbau sein könnte, wohingegen der Progesteronspiegel in der Lutealphase mitunter für bessere Ausdauerleitungen verantwortlich sein könnte. Deshalb haben sich diverse FitfluencerInnen  und TrainerInnen daraus folgende Trainingsempfehlungen abgeleitet: 

  • Menstruationsphase (Tag 1-5) – Yoga
  • Follikelphase (Tag 6-13) – Follikelphase
  • Ovulationsphase (Tag 14) – HIIT
  • Lutealphase (Tag 15-28) – Ausdauertraining

Wichtig: Diese Empfehlungen stützen sich derzeit noch nicht auf eine ausreichende Datenlage und entspringen rein anekdotischer Evidenz. Die meisten Zyklusbasierten Trainingskonzepte schlagen vor, früher oder später im Zyklusverlauf vom Gaspedal runter zu gehen, sprich: Weniger Intensität, weniger Volumen oder ganz eine Trainingspause einzulegen. Meist sollte diese Ruhephase um die Periode herum stattfinden, da zu dieser Zeit der Körper damit beschäftigt ist zu bluten und das ein “intensiver Prozess” sein kann. Damit einhergehend kursieren auf Social Media und in Online Blogs diverse Trainingsempfehlungen, die zu verschiedenen Zyklusabschnitten komplett unterschiedliche Schwerpunkte legen. Grundgedanke ist, mit den hormonellen Schwankungen mitzugehen und stressresistente Zyklusabschnitte (wie die Follikelphase) auszunutzen, um in den stresssensiblen Phasen mehr Betonung auf Regeneration zu legen (wie in der Lutealphase). 

Warum funktioniert es? 

Wie bereits erwähnt, hat der Menstruationszyklus einen Effekt auf physiologischer/ körperlicher Ebene sowie auf Psychologischer Ebene. Laut meiner Beobachtungen profitieren viele Menstruierende von zyklusbasiertem Training, wenn die generelle Energieverfügbarkeit bisweilen recht gering war, die Person zu wenig Nahrung zugeführt hat und dementsprechend im Training nie richtig “fueled” war. Gerade in Hinblick auf das RED-S scheint zyklusbasiertes Training wahre Wunder zu wirken, da die Belastung um die Menstruation deutlich reduziert wird (Bsp. oben: Yoga). Das hilft natürlich, das Ungleichgewicht aus Energieverbrauch und Energieaufnahme auszupuffern. Darüber hinaus fördern mehr Pausen eine ordentliche Regeneration, welche im Umkehrschluss wieder zu besserer Leistung im Training führt. Auf psychologischer Ebene kann man sagen, dass die Vorgabe, Regeneration zu bestimmten Zyklusabschnitten zu betonen, definitiv den Druck raus nimmt, immer performen zu müssen. Auch das nehmen viele Frauen dankend an. 

Warum funktioniert es NICHT? 

Dadurch, dass der Menstruationszyklus häufig von Störungen betroffen ist (PMS, PCOS, Anovlatorische Zyklen oder Amenorrhoe) KANN Cycle Syncing also nicht funktionieren – Wie soll ein Trainingskonzept bei allen Beschwerden wirksam sein, wenn die eine Person erhöhte Testosteronwerte aufweist, die andere kaum Sexualhormone produziert und die dritte an einer Östrogendominanz leidet? Wir müssen das Thema “Training nach dem Zyklus” differenzierter betrachten. Meiner Meinung nach sind die Gründe für plötzliche Störungen im Zyklus eher ernährungsphysiologischer Natur und haben wenig mit Sport zu tun. Deshalb können sie auch nicht darüber gelöst werden und müssen anderweitig behandelt werden. Training nach dem Zyklus hilft also nicht bei Störungen – und wenn Anpassungen gemacht werden, sollten diese immer individuell erfolgen!

Schauen wir uns aber noch die sportwissenschaftliche Grundlagen/ allgemeine Trainingsprinzipien an. Diese helfen uns zu verstehen, ob ein zyklusbasiertes Trainingskonzept, so wie oben beschreiben, Sinn ergibt, oder nicht. 

Prinzip des trainingswirksamen Reizes

Ein überschwelliger Reiz im Sport bezieht sich auf eine Trainingsbelastung, die über dem aktuellen Leistungsniveau der Sportlerin liegt. Dies fordert die  Muskulatur, das Herz-Kreislauf-System oder andere physiologische Systeme heraus, in wessen Folge  die sportliche Leistungsfähigkeit gesteigert wird. Überschwellige Reize sind in der Regel notwendig, um Fortschritte und Verbesserungen im Sport zu erzielen. Sie können in Form von intensiven Trainingseinheiten, Gewichtssteigerungen, höheren Wiederholungszahlen oder schnelleren Laufgeschwindigkeiten auftreten. Dahingegen ist ein unterschwelliger Reiz eine Belastung, die unterhalb des aktuellen Leistungsniveaus liegt und normalerweise nicht ausreicht, um signifikante Verbesserungen oder Anpassungen zu bewirken. Wer im Wochenwechsel Yoga, Krafttraining, HIIT und Ausdauertraining macht, wird in Summe nicht regelmäßig genug überhalb der Reizschwelle trainieren, um sich kontinuierlich zu verbessern. 

Prinzip der optimalen Gestaltung von Belastung und Erholung

Zwischen intensiven Trainingsbelastungen ist ausreichende Erholung notwendig. Dies ermöglicht dem Körper, sich zu regenerieren und die Überkompensation zu erreichen, bei der die sportliche Leistung vorübergehend über das Ausgangsniveau hinaus steigt. Optimalerweise sollte Regeneration und Belastung in Wechsel stattfinden, und nicht: 1 Woche Entlastung/ 2+ Wochen Belastung, wie es im Zyklusbasierten Trainingskonzept von oben vorgesehen ist. 

Prinzip der progressiven Belastungssteigerung 

Dieses Prinzip ist entscheidend, um langfristige Anpassungen im Training sicherzustellen. Die Steigerung der Belastung kann auf verschiedene Arten erfolgen, einschließlich der Erhöhung von Gewicht, Wiederholungen, Intensität, Trainingsdauer oder Trainingsfrequenz. Die schrittweise Steigerung stellt sicher, dass der Körper kontinuierlich neuen trainingswirksamen Reizen ausgesetzt wird. Deshalb ist es nicht ratsam, im wochenwechsel zwischen Sportarten hin- und her zu springen. Progression ist zwar nicht immer linear, über über einen längeren Zeitraum hinweg sollte aber definitiv eine Steigerung stattfinden!

Prinzip der Wiederholung und Kontinuität

Um Verbesserungen in der Leistung und Fitness zu erzielen, ist es entscheidend, dass das Training regelmäßig durchgeführt wird. Dies bedeutet, dass Sportlerinnen ihre Trainingspläne in den meisten Fällen einhalten sollten, ohne längere Pausen oder Unterbrechungen zu machen. Je spezifischer das Ziel, desto gezielter und spezifischer lässt sich auch das Training gestalten, denn: Trainingsanpassungen erfolgen auf neuronaler, metabolischer und morphologischer Ebene. Mehr dazu erfährst du in der Muskelaufbau Masterclass. 

Fazit

Cycle Syncing (so wir es in den Medien präsentiert bekommen) kann Frauen helfen zu verstehen, DASS es einen Zyklus gibt, der sich auf das Training auswirken kann. Meiner Meinung nach sind die Trainingsempfehlungen gemäß der vier Zyklusphasen aus sportwissenschaftlicher Sicht nicht sinnvoll und führen auf lange Sicht eher zu “Undertraining”. Wer längerfristig besser performen möchte, sollte sich besser nicht an diesen Konzepten orientieren und dafür sorgen, dass die Grundlage sitzt: Nämlich ein gesunder und schmerzfreier Menstruationszyklus. Darauf lässt sich dann aufbauen. Anpassungen sollten immer individuell erfolgen. Hast du einen gesunden Zyklus? Möchtest du dein Training zyklusbewusst gestalten? Hier kannst du dir ein Coaching Erstgespräch buchen. 

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