Gewichtszunahme durch Stress: Wahrheit oder Mythos?

„Ich nehme zu, obwohl ich nicht mehr esse.“- auch schon gehört? Dabei geht es doch um die ganz sinmple Gleichung: Calories In vs. Calories Out, oder? In diesem Artikel erörtern wir, inwiefern die Kalorienbilanz überhaupt greift, wenn Hormone wie Cortisol im Spiel sind. Wie kann es sein, dass Personen anscheinend zunehmen, wenn sie gestresst sind – oder ist das etwa ein Mythos??

Disclaimer: Dieser Beitrag  ersetzt keine medizinische Beratung o.ä. sondern dient lediglich der Aufklärung. 

Übersicht

1. Wie passiert Gewichtszunahme?

Wenn die Zahl auf der Waage steigt, liegt das an einer positiven Energiebilanz, bei der die aufgenommene Energie über die Nahrung den Energieverbrauch des Körpers übersteigt. Aber keine Panik! Eine kurzfristige Zunahme auf der Waage ist nicht zwangsläufig Ausdruck einer erhöhten Fettmasse. Wir müssen die Zahl auf der Waage unbedingt etwas differenzierter beurteilen – besonders im Kontext von Diäten, Trainingsprogrammen oder akutem Stress, denn diese können einen Einfluss nehmen!

1.1 Fettzunahme (Lipogenese)

Bei einer Zunahme denken die meisten daran: Die Fettpölsterchen sind mehr geworden. Bei chronischem Energieüberschuss werden die überschüssigen Kalorien in Form von Triglyzeriden gespeichert. Dieser Prozess erfolgt primär im Fettgewebe und wird hormonell gesteuert – insbesondere durch Insulin (dazu aber später mehr).  

1.2 Glykogenspeicherung

Ein Anstieg der Zahl auf der Waage kann auch daran liegen: Kohlenhydrate. Diese werden vor allem als Glykogen (Leber: ca. 100–120 g, Muskel: ca. 300–500 g) gespeichert. Für jedes Gramm Glykogen werden etwa 2,5–3 Gramm Wasser zusätzlich mit gespeichert. Wer sich über ein geraumes Zeitfenster hinweg Low-Carb ernährt hat, wird daher eine extrem schnelle „Zunahme“ erleben, sobald wieder Kohlenhydrate im Speiseplan landen. Wichtig: Diese Veränderung ist nicht fettbasiert! Sie ist reversibel und nicht mit einer Veränderung der Körperfettmasse gleichzusetzen.

1.3 Wassereinlagerungen

Eine veränderte Flüssigkeitsretention entsteht beispielsweise infolge von erhöhtem Salzkonsum, hormonellen Schwankungen (bspw. prämenstruell), Entzündungen oder Stressreaktionen. Diese Formen der Gewichtszunahme sind fluktuierend und können je nach Alter, Geschlecht und Größe mehrere Kilogramm betragen. Sie sind jedoch keine echte Zunahme von Körpermasse im metabolischen Sinne.

1.4 Gastrointestinaler Inhalt

Auch das ist nicht zu unterschätzen: Ein gefüllter Magen-Darm-Trakt nach einer größeren Mahlzeit kann das Körpergewicht vorübergehend um bis zu 1–2 kg erhöhen – ohne dass eine strukturelle Gewichtszunahme vorliegt.

2. Der Stoffwechsel

Wie funktioniert also eine Zu- und Abnahme? Der menschliche Körper ist ein ausgeklügeltes Energiemanagement-System. Überschüssige Energie wird nicht einfach „verloren“, sondern gezielt gespeichert – vor allem in Form von Körperfett. Umgekehrt greift der Körper in Phasen von Energiemangel oder Stress auf diese Reserven zurück. 

2.1 Zunahme/ Energiespeicherung/ Lipogenese

First things first: Der Körper speichert überschüssige Energie vorrangig in Form von Triglyzeriden im Fettgewebe (Adipozyten) sowie Glykogen in der Leber und den Muskeln. Das bedeutet, die Energie wird erst dann als „Fettpölsterchen“ gespeichert, wenn der Körper mehr aufnimmt, als er sofort für die Energiegewinnung nutzen kann.

2.2 Abnahme / Energiebereitstellung/ Lipolyse

Die Energiebereitstellung im Körper basiert auf der Verfügbarkeit und Mobilisierung von Glukose, Fettsäuren und Aminosäuren. Die Regulation erfolgt durch fein abgestimmte Mechanismen, die sich je nach metabolischem Zustand (postprandial, nüchtern oder akuter Stresszustand) verändern. Bei einer Abnahme sind dabei die folgenden Hormone besonders wichtig:

Insulin 

Fördert die Glukoseaufnahme in insulinabhängige Gewebe wie Muskeln und Fettgewebe durch den GLUT4-Transporter und hemmt die Lipolyse (den Abbau von gespeicherten Fetten) [1] 

Adrenalin & Noradrenalin

Aktivieren die Lipolyse (über Hormon-sensitive Lipase (HSL)), die Glykogenolyse (Abbau von Glykogen zu Glukose) und erhöhen die Glukosefreisetzung aus der Leber. Diese Hormone werden insbesondere in Stresssituationen oder bei körperlicher Aktivität ausgeschüttet, um schnelle Energie bereitzustellen. 

Cortisol

Fördert die Lipolyse, indem es die Freisetzung von Fettsäuren aus den gespeicherten Triglyzeriden im Fettgewebe erhöht. Langfristig kann Cortisol jedoch zu einer Insulinresistenz beitragen. Es moduliert den Zugang zu Energiequellen, insbesondere zu gespeicherten Triglyzeriden, und beeinflusst die Körperzusammensetzung (z. B. eine vermehrte Speicherung von Fett und den Abbau von Muskelmasse in chronischen Stresszuständen) [2] (Achtung: Dieser Mechanismus wird später noch differenzierter betrachtet).

3. Das Hormon Cortisol

3.1 Eigenschaften des Stresshormons

Was hat nun das Cortisol mit einer Zunahme an Körperfett zu tun? Das sogenannte „Stresshormon“ besitzt katabole Eigenschaften, das heißt, es fördert den Abbau von körpereigenen Speicherstoffen, um dem Organismus in stressigen oder energetisch belastenden Situationen um so schnell wie möglich Energie zu liefern – unabhängig von der aktuellen Nahrungsaufnahme. 

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3.1.1 Cortisol und Blutzucker 

Wenn Cortisol ausgeschüttet wird, steigt auch der  Blutzuckerspiegel. In Stresssituationen stimuliert Cortisol also die Glukosefreisetzung aus der Leber – sowohl durch Glykogenolyse als auch durch Glukoneogenese. Dadurch wird dem Organismus kurzfristig Energie zur Verfügung gestellt, ohne dass eine Nahrungsaufnahme erforderlich ist.

Diese hormonell induzierte Hyperglykämie hat direkte Konsequenzen: Der Körper reagiert auf den Anstieg des Blutzuckerspiegels mit einer verstärkten Insulinausschüttung aus den Betazellen der Bauchspeicheldrüse.

Das Insulin wiederum hemmt die Lipolyse, also den Abbau gespeicherter Triglyzeride, und fördert die Einlagerung von Nährstoffen – insbesondere von Glukose in Muskel- und Fettgewebe. Obwohl Cortisol katabol wirkt und auf kurzfristige Energiebereitstellung ausgelegt ist, kann die nachgeschaltete Insulinantwort diesen Effekt partiell konterkarieren und langfristig potenziell zur Fetteinlagerung beitragen.

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3.1.2 Cortisol und Insulinresistenz

Ein chronisch erhöhter Cortisolspiegel hat Auswirkungen auf die Insulinsensitivität peripherer Gewebe: denn die Muskel- und Fettzellen reagieren unter konstantem Cortisoleinfluss zunehmend weniger effektiv auf das Insulin.

Physiologisch betrachtet ist dies zunächst ein adaptiver Mechanismus: Durch die herabgesetzte Insulinwirkung wird die Glukoseaufnahme in peripheren Geweben eingeschränkt, um die Glukoseverfügbarkeit für das Gehirn – ein stark glukoseabhängiges Organ – sicherzustellen.

Problematisch wird dieser Zustand jedoch, wenn er über längere Zeiträume bestehen bleibt. Die chronische Hyperinsulinämie in Kombination mit erhöhten zirkulierenden Fettsäuren (durch Lipolyse) und proinflammatorischen Zytokinen aus viszeralem Fettgewebe fördert die Ausbildung einer systemischen Insulinresistenz [1]. Eine Abwärts-Spirale also.

3.2 Der Mythos

In vielen populären Artikeln und Gesprächen heißt es: „Stress macht dick“. Dabei wird häufig suggeriert, dass allein ein erhöhter Cortisolspiegel  ausreicht, um automatisch Körperfett aufzubauen. Diese Vorstellung greift jedoch zu kurz.

3.3 Die Wahrheit

Ja, chronisch erhöhte Cortisolspiegel – etwa durch Dauerstress, Schlafmangel, Depression oder Medikamente (z. B. Glukokortikoide) – sind mit einer erhöhten zentralen Fettverteilung, Appetitsteigerung, Muskelabbau und Glukosestoffwechselstörungen assoziiert. Der Körper bleibt in einem dauerhaften „Alarmzustand“, obwohl keine akute Gefahr besteht – mit langfristig negativen Konsequenzen für den Metabolismus [3]

Wie funktioniert das? 

  • Erhöhte Lipoproteinlipase-Aktivität (LPL) im viszeralen Fett → mehr Triglyzeridaufnahme
  • Insulinresistenz → Glukose bleibt länger im Blut, Insulin steigt → fördert Lipogenese
  • Appetitsteigerung, v.  Heißhunger auf kalorienreiche Nahrung

[4] Achtung: Viele schlussfolgern daraus, für eine Fettzunahme wäre demnach einzig und allein der Stresszustand verantwortlich.

4. Und die Kalorienbilanz?

Jetzt kommt der entscheidende Punkt. Vielleicht hast du dich auch schon gefragt: Gilt die Kalorienbilanz dann überhaupt, wenn Hormone wie Cortisol im Spiel sind? Die kurze Antwort lautet: Ja, die Kalorienbilanz gilt immer. Sie ist ein fundamentales physikalisches Prinzip – Energie kann im Körper nicht einfach entstehen oder verschwinden.

Das bedeutet: Wer mehr Energie zuführt, als er verbraucht, nimmt zu. Wer weniger zuführt, als er verbraucht, nimmt ab. Auf gut Deutsch: Man nimmt nicht einfach zu, wenn man im Defizit ist, und gestresst ist. ABER:

4.1 Cortisol verändert das Ernährungsverhalten

Unter chronischem Stress kann Cortisol das Essverhalten unbewusst verändern. Manche Menschen verspüren eine Appetitsteigerung– insbesondere auf hochkalorische, zucker- und fettreiche Lebensmittel. Heißhunger, emotionales Essen oder häufiges Snacken sind hier die Klassiker. Auch wenn die betroffene Person glaubt, „nicht mehr zu essen als sonst“, kommt es dadurch oft zu einer unbewussten Erhöhung der Kalorienzufuhr [5].

4.2 Cortisol verändert den Stoffwechsel

Ein dauerhaft (!!) erhöhter Cortisolspiegel kann den Energieverbrauch senken. Das liegt an der daraus resultierenden verringerten Alltagsbewegung, einem gestörten Schlaf und möglicherweise dem Abbau von Muskelmasse [6]. Stress zieht also einen Rattenschwanz hinter sich her: Selbst wenn die Kalorienzufuhr gleich bleibt, kann sich die KalorienBILANZ ins Positive verschieben – mit einer schleichenden Gewichtszunahme als Folge.

4.3 Cortisol begünstigt Wassereinlagerungen

Ein weiterer, oft übersehener Effekt von Cortisol ist die Förderung von Wassereinlagerungen. Diese können zu sicht- und spürbaren Gewichtsschwankungen führen, ohne dass tatsächlich Fettmasse aufgebaut wurde. Gerade in Phasen intensiven Stresses kann es daher vorkommen, dass sich Menschen „aufgequollen“ oder „dicker“ fühlen – obwohl die tatsächliche Kalorienbilanz negativ oder ausgeglichen ist.

5. Fazit

Man nimmt nicht zu, wenn man sich tatsächlich in einem echten kalorischen Defizit befindet, auch wenn Cortisol erhöht ist. Man kann keine Fettmasse „aus Luft“ aufbauen. Es ist also nicht der Stress allein, der zu Fettzunahme führt, sondern die Veränderungen im Verhalten und Stoffwechsel, die daraus resultieren [7] [8] [9]. Ein hoher Cortisolspiegel führt nicht zwangsläufig zu einer Fetteinlagerung, sondern bestimmt unter chronisch erhöhten Leveln, wo das Fett eingelagert wird.

[1] Smith, U. & Kahn, B. B. (2016). Adipose tissue regulates insulin sensitivity: role of adipogenesis, de novo lipogenesis and novel lipids. Journal Of Internal Medicine, 280(5), 465–475. https://doi.org/10.1111/joim.12540 

[2] Balvinder, S. & Kumar, M. N. (2024). The Cortisol Connection: Weight Gain and Stress Hormones. Archives Of Pharmacy And Pharmaceutical Sciences, 8(1), 009–013. https://doi.org/10.29328/journal.apps.1001050

[3] Ostinelli, G., Scovronec, A., Iceta, S., Ouellette, A., Lemieux, S., Biertho, L., Bégin, C., Michaud, A. & Tchernof, A. (2021). Deciphering the Association Between Hypothalamus‐Pituitary‐Adrenal Axis Activity and Obesity: A Meta‐Analysis. Obesity, 29(5), 846–858. https://doi.org/10.1002/oby.23125

[4] Löffler, G., Petrides, P. E. & Heinrich, P. C. (2007). Biochemie und pathobiochemie. In Springer-Lehrbuch. https://doi.org/10.1007/978-3-540-32681-6

[5] Yau, Y. H. C. & Potenza, M. N. (2013, 1. September). Stress and Eating Behaviors. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC4214609/

[6] Reynolds C., M., Sinha R., Landau H., R., Munro H., N., Walker B., R. Daily cortisol secretory patterns and individual differences in abdominal obesity and leptin in healthy adults. Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism. 2008; 93(1):62-67. 

[7] Hall, K. D., Farooqi, I. S., Friedman, J. M., Klein, S., Loos, R. J., Mangelsdorf, D. J., O’Rahilly, S., Ravussin, E., Redman, L. M., Ryan, D. H., Speakman, J. R. & Tobias, D. K. (2022). The energy balance model of obesity: beyond calories in, calories out. American Journal Of Clinical Nutrition, 115(5), 1243–1254. https://doi.org/10.1093/ajcn/nqac031

[8] Howell, S. & Kones, R. (2017b). “Calories in, calories out” and macronutrient intake: the hope, hype, and science of calories. AJP Endocrinology And Metabolism, 313(5), E608–E612. https://doi.org/10.1152/ajpendo.00156.2017

[9] Benton, D. & Young, H. A. (2017). Reducing calorie intake may not help you lose body weight. Perspectives On Psychological Science, 12(5), 703–714. https://doi.org/10.1177/1745691617690878

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